Westfalen-Blatt, 25.05.2012

Artikel aus dem heutigen Westfalen-Blatt:

Orthopädie-Werkstatt für Kabul

Auguste-Viktoria-Klinik hilft mit Spende Menschen am Hindukusch — Aktion findet viele Unterstützer
VON KATHARINA SCHUSTER

 

Bad Oeynhausen (WB). Drei Jahre hat die Planungsphase gedauert, nun ist es soweit. Der erste Lkw ist mit Maschinen der ehemaligen orthopädischen Werkstatt der Auguste-Victoria-Klinik (AVK) bepackt und geht auf den Weg in das 7500 Kilometer entfernte afghanische Kabul.

Was tun mit einer alten Werkstatt, die zwar noch voll funktionstüchtig ist, aber nach deutschen Sicherheitsstandards nicht mehr benutzt werden darf ? Diese Frage stellte sich vor drei Jahren Elmar Bitter, Betriebsleiter der technischen Orthopädie der Klinik. Er stellte sie der Löhnerin Doris Horn aus dem Vorstand der Hilfsorganisation Amyal (zu Deutsch Hoffnung) zur Verfügung. »Wir möchten die Afghanen unterstützen, die Versorgung im eigenen Land zu ermöglichen« , nennt Elmar Bitter in diesem Zusammenhang seine Beweggründe.

Nach Angaben Amyals gibt es in dem Land schätzungsweise eine Million Menschen, die von dem Verlust ihrer Extremitäten betroffen sind. »Bei offenen Brüchen wird schnell amputiert«, weiß Doris Horn zu berichten. Insbesondere für Frauen sei die Situation dramatisch, denn diese dürften sich nur von Frauen behandeln lassen. In ganz Afghanistan gibt es nur 50 Orthopädie-Techniker.

Einer von ihnen ist Wali Nawabi. In seinem Haus in Kabul sollen die Maschinen nach der Ankunft aufgebaut werden. Elmar Bitter war bei der Spende insbesondere wichtig, dass die Maschinen wie Bandsägen, Fräsen und Bohrer nicht zu Kriegswerkzeug umfunktioniert werden. Doris Horn kann ihn beruhigen: »Ich kenne Wali Nawabi nun seit vier Jahren. Es ist erstaunlich, was er auf die Beine gestellt hat, und ich weiß sogar schon, wo die einzelnen Maschinen stehen werden. Die große Bandsäge kommt in den Keller.« Ziel sei es, dass Nawabi in Zukunft junge Menschen zu Orthopädie-Technikern ausbildet. »Um auch Frauen versorgen zu können«, erklärt Doris Horn.

Die zum Teil 50 Jahre alten Maschinen wurden von der Elektrofirma Thiesmeyer vor ihrem Verladen durchgecheckt und auf afghanische Verhältnisse angepasst. »Die halten noch mal 60 Jahre«, ist Doris Horn optimistisch. Der afghanische Orthopädie-Techniker kann dann nach ihrer Einschätzung auf dem Klebetisch ohne Gefahr für seine eigene Gesundheit Polster und Sohlen oder auch Prothesenteile verkleben.

Durch eine zweckgebundene Geldspende aus Bad Oeynhausen konnte zudem noch Material für die Werkstatt gekauft werden. »Der Lieferant hat dann auch noch mal etwas dazu gegeben, und so konnten wir noch für etwa 2500 Euro Material dazu kaufen«, freut sich Elmar Bitter. Auch Gegenstände aus dem Altfundus der Klinik warten darauf, in den von der Firma Kottmeyer bereitgestellten Lkw verladen zu werden. Unterarm-Gehstützen und Rollstühle warten auf eine neue Verwendung in Afghanistan.

 

Schwer bepackt: Elmar Bitter (von links) reicht Matthias Thiesmeyer
Unterarm-Gehstützen an, auch Mark Meißner (THW) Chris Bartelsmeier (THW),
Doris Horn, Petra Thiesmeyer, Karl Koch (alle drei Amyal) und Daniel Döhr (THW) helfen mit.

 

An mehreren Abenden verlud das technische Hilfswerk die Fracht mit einem Neuwert von etwa 150 000 Euro auf den Lastwagen. Da dieser nicht ausreichte, wurde noch ein weiterer zur Verfügung gestellt. Mit einem kostenfreien Gabelstapler der Firma Duch können die mitunter 500 Kilogramm schweren Geräte direkt auf den Anhänger geladen werden. Andreas Bartels, Zugführer des Ortsverbandes Vlotho des Technischen Hilfswerks (THW), half mit zehn weiteren Ehrenamtlichen mit. »Ich kannte Matthias Thiesmeyer von anderen Projekten, und der sprach uns an, ob wir nicht helfen könnten«, berichtet er. Nach Feierabend verluden sie also die alte Werkstatt. Bei dem Transport unterstützt sie die Hilfsorganisation Empor e.V..

Der afghanische 16-jährige Shir-Shar (auf Deutsch Löwenkönig) absolvierte von Dezember bis März ein Praktikum in der orthopädischen Werkstatt der AVK. »In Kabul kann er dann in der neuen Werkstatt eine Ausbildung zum Orthopädie-Techniker machen«, erklärt Elmar Bitter, der schon die Prothese für Doris Horns afghanisches Gastkind Mia herstellte. Dieser sei mittlerweile schon häufiger wieder zu Besuch in Deutschland gewesen. »Es nimmt einen emotional mit, wenn Kinder so zerrissen werden«, sagt Bitter über die Verluste von Extremitäten durch Mienen. Mia habe sich aber gut an seine Prothese gewöhnt. »Als er hier war hat er sogar eine Gurtprüfung in Karate gemacht, und die Leute haben hinterher zu mir gesagt, sie hätten nicht gewusst, dass er eine Prothese trage. Das macht einen als Prothesenbauer dann schon stolz«, erzählt er. Es freue ihn zu sehen, wie der Junge aufgeblüht sei. »Das ist klasse.« Mit der neuen Werkstatt in Kabul könne noch mehr Menschen vor Ort, denen Extremitäten amputiert wurden, geholfen werden. Doris Horn wird sich bei ihrem nächsten Besuch in Afghanistan dann davon überzeugen können.

 
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